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Titel
Spartan Education. Youth and Society in the Classical Period. Translated by Emma Stafford, P.-J. Shaw and Anton Powell


Autor(en)
Ducat, Jean
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 361 S.
Preis
$ 100,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Natascha Königs, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Nach mehreren bedeutenden Artikeln und Studien zu Sparta 1 hat Jean Ducat nun eine umfassende Untersuchung vorgelegt, die der Erziehung im klassischen Sparta gewidmet ist und in gewisser Weise als kritische Antwort auf die Studie Kennells zur spartanischen Erziehung aus dem Jahre 1995 verstanden werden kann.2 In wesentlichen Punkten orientiert sich Ducat dabei an den Untersuchungen von Cartledge.3 In der Einführung (S. ix–xvii) beschäftigt sich Ducat mit den methodischen Schlussfolgerungen Kennells: Dieser hatte mit Hinweis auf die Diskontinuität der historischen Entwicklung („historical discontinuity“, S. 4) einen Großteil der überwiegend späten Quellen zur spartanischen Erziehung als unbrauchbar verworfen und auf einen wesentlichen Unterschied zwischen dem spartanischen Erziehungssystem der klassischen Zeit und der „agōgē“ unter Kleomenes III. (235-222 v.Chr.) geschlossen. Im Gegensatz dazu sieht Ducat eine deutliche Verwandtschaft zwischen dem spartanischen Erziehungssystem der klassischen Zeit und der spartanischen Ausbildung im 3. Jahrhundert v.Chr.; er setzt die entscheidende Zäsur erst in das frühe 2. Jahrhundert v.Chr. Anders als Kennell hält er die späten Quellen – wenn auch mit Einschränkungen – für verlässlich.

Die ersten beiden Kapitel des Buches (S. 1-67) sind einer ausführlichen Quellenanalyse gewidmet. Ins Zentrum des ersten Kapitels (S. 1-34) stellt Ducat die Analyse der „Lakedaimonion Politeia“ des Xenophon (S. 1-22). Dagegen misst Ducat den Werken Plutarchs aus dem frühen 2. Jahrhundert n.Chr. für die Rekonstruktion des spartanischen Erziehungssystems in klassischer Zeit nur eine relativ geringe Bedeutung bei. In Unterabschnitten behandelt Ducat die erzieherischen Maßnahmen, die Xenophon erwähnt, so etwa die vorsätzlich karge Ernährung der Heranwachsenden (S. 8f.). Ducat legt hier die Grundlagen für die weitere inhaltliche Beschäftigung mit dem spartanischen Erziehungswesen (S. 68-118) und kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Werk Xenophons um eine apologetische Schrift handelt, die das Erziehungssystem Spartas (und die spartanische Ordnung insgesamt) gegenüber ihren Kritikern des 4. Jahrhunderts v.Chr. verteidigen sollte.

Um seine Interpretation des Xenophon zu untermauern, wendet sich Ducat im zweiten Kapitel (S. 35-67) dem Bild des spartanischen Erziehungssystems außerhalb Spartas zu. Anhand verschiedener Quellen des 5. und 4. Jahrhunderts v.Chr. gelingt es Ducat, ein differenziertes Bild zu zeichnen, wobei nach seiner Auffassung in den Quellen eine wachsende Kritik der Zeitgenossen an Spartas Erziehungssystem deutlich werde. Insgesamt wandele sich diese Kritik dabei, so Ducat, vom Vorwurf der Einseitigkeit im 5. Jahrhundert v.Chr. (S. 36-45) zum Vorwurf des 4. Jahrhunderts v.Chr., das Ziel der spartanischen Erziehung sei rein militärischer Art und auf Unterwerfung ausgerichtet (S. 45-65).

Das dritte Kapitel (S. 69-118) behandelt die innere Organisation des spartanischen Erziehungssystems in klassischer Zeit. Zunächst wendet sich Ducat den verschiedenen Phasen der spartanischen Ausbildung der jungen Männer zu (S. 71-118). Auf der Grundlage Xenophons unterscheidet er vier Alterskategorien („age-categories“) der spartanischen Ausbildung bis zum 30. Lebensjahr: die Stufen der „paides“ (S. 81-86), der „paidiskoi“ (S. 86-94), der „eirēnes“ (S. 94-100) und der „hēbōntes“ (S. 101-112). Auf der Basis zweier später Textzeugen, die Kennell abgelehnt hatte 4, legt Ducat diesen Alterskategorien in Übereinstimmung mit Lupi 5 eine Aufteilung in jährliche Altersklassen („annual age-classes“) zugrunde. Diese jährlichen Altersklassen, die aus den Quellen abgeleitet werden können, lassen sich nach Ansicht Ducats mit der Schilderung Xenophons in Einklang bringen und offenbaren die organisatorische Struktur des spartanischen Erziehungssystems in klassischer Zeit (S. 71-76). Die jährlichen Altersklassen („annual age-classes“) unterteilt Ducat wiederum in kleinere Funktionseinheiten, die so genannten „sets“ (S. 77-81).

Im vierten Kapitel (S. 119-135) beschäftigt sich Ducat mit der Frage, inwieweit es im klassischen Sparta neben der staatlich organisierten Erziehung („a system organized by the state, compulsory and identical for all“, S. 132) eine private Erziehung (S. 124-134) gegeben hat und wer diese Form der Erziehung gegebenenfalls finanzierte (S. 134-135). Ducat vermutet, dass die wohlhabenden und einflussreichen Familien ihren Kindern eine umfangreiche musische Ausbildung zukommen ließen, während der Durchschnitt der Spartaner nur eine sehr geringe Ausbildung auf diesem Gebiet erhielt. In dieser privat finanzierten und organisierten Zusatzausbildung, deren Umfang nach Meinung Ducats maßgeblich von der gesellschaftlichen Stellung einer Familie abhängig war, liege auch der eigentliche Grund für die gegensätzlichen Beurteilungen der spartanischen Ausbildung außerhalb Spartas (S. 134). Der Verfasser ist sich im Rahmen seiner Ausführungen allerdings durchaus bewusst (S. 129), dass er bezüglich der privaten Ausbildung in Sparta viele Fragen – etwa nach dem praktischen Nebeneinander von öffentlicher und privater Erziehung – weitgehend unbeantwortet lassen muss.

Im fünften Kapitel (S. 139-178) beschäftigt sich Ducat mit der Funktion der Erziehung innerhalb der spartanischen Gesellschaft und setzt sich im sechsten Kapitel (S. 179-222) ausführlich mit der Rolle von Initiation im spartanischen Erziehungssystem in klassischer Zeit auseinander. Im Bereich der Initiation stützt sich Ducat maßgeblich auf die Materialsammlung Brelichs.6 Dabei teilt Ducat durchaus die Ansicht, dass das Ziel der spartanischen Erziehung in der militärischen Schulung lag (dies entspricht der Sicht der meisten antiken Quellen). Er fügt jedoch hinzu, dass das gewissermaßen gesellschaftsinterne Ziel der Erziehung die Ausbildung der Heranwachsenden zu fähigen Bürgern war und dass in diesem Zusammenhang Initiation eine wichtige Rolle spielte (S. 139). Ducat geht dabei in seiner Deutung allerdings sehr weit. Er ist überzeugt, dass sich in Sparta ein funktionsfähiges Gesamtgefüge von alten Initiationsriten erhalten hat, das in klassischer Zeit den Kern des spartanischen Erziehungssystems bildete (S. 215f.). Dies zeige der komplexe Test- und Wettkampfcharakter der meisten erzieherischen Maßnahmen im klassischen Sparta (S. 148-175).

Im siebten Kapitel (S. 223-248) untersucht Ducat die Erziehung der Mädchen in Sparta. Wie bei der Ausbildung der jungen Männer geht er auch hier von einer körperlichen (S. 227-234) und einer musischen Komponente (S. 224-227) in der Erziehung aus. Im Zentrum seiner Überlegungen steht jedoch der körperliche Aspekt der Ausbildung der Mädchen, der in den antiken Quellen häufig als unmoralisch (als sexuell zu freizügig, lüstern, machthungrig, hemmungslos usw.) kritisiert wird. Deshalb wendet sich Ducat sowohl den Argumenten der Kritiker (S. 234-237) als auch der Befürworter (S. 237-243) der Mädchen-Ausbildung in Sparta zu. In einem weiteren Abschnitt geht er anschließend der Frage nach, welche gesellschaftliche bzw. initiatorische Funktion die Erziehung der jungen Mädchen in Sparta erfüllte (S. 243-245).

Im folgenden Kapitel (S. 249-280) betrachtet Ducat die erzieherische Bedeutung der religiösen Feste in Sparta. Hier untersucht Ducat die Hyakinthien, die Gymnopaidien und die Karneien und deutet diese in erster Linie als Bewährungsprobe der Jungen (und Mädchen), da die Feste vor den Augen der gesamten Gemeinde stattfanden. Überraschenderweise hält Ducat in diesem Zusammenhang das initiatorische Moment im Rahmen der religiösen Feste für relativ unbedeutend (S. 273). Das neunte Kapitel (S. 281-332) ist der Krypteia und ihrer erzieherischen Funktion innerhalb der spartanischen Gesellschaft gewidmet. Ducat kommt hier zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass der Zweck der klassischen Krypteia (zunächst) nicht in der Kontrolle bzw. Tötung der Heloten bestanden hat. Die Tötung von Heloten im Rahmen der Krypteia stelle, so Ducat, erst eine Entwicklung des 4. Jahrhunderts v.Chr. (S. 304-307) dar. Ducat betont in diesem Zusammenhang wiederum die gesellschaftsinterne (initiatorische) Funktion der Krypteia, er kann jedoch mit seiner Interpretation des entscheidenden Aristoteles-Fragments (ausführliches Zitat S. 284) nicht gänzlich überzeugen. Das Buch endet mit einer kurzen Zusammenfassung (S. 333-339), die allerdings recht allgemein gehalten ist.

Abschließend kann gesagt werden, dass Ducat – gerade auch durch seine bisweilen akribische Quellenanalyse – das Bild des spartanischen Erziehungssystems in klassischer Zeit differenziert und bereichert hat. Gleichzeitig hat er in zentralen Aspekten überzeugende Gegenargumente zur Darstellung Kennells geliefert. Auch wenn Ducat besonders im Zusammenhang mit der Initiationsthematik und der praktischen Organisation des spartanischen Erziehungssystems die eine oder andere Frage offen lassen muss (etwa wie das praktisches Nebeneinander von öffentlicher und privater Erziehung funktionierte), so hat Ducat doch ein Gesamtbild der spartanischen Erziehung in klassischer Zeit entworfen, das nicht zuletzt durch seine innere Kohärenz überzeugt. Ducat hat zudem wichtige Denkanstöße geliefert, an denen die Sparta-Forschung in diesem Bereich erneut ansetzen kann.

Anmerkungen:
1 Vgl. nur Ducat, Jean, Les Hilotes, Paris 1990; Perspectives on Spartan education, in: Hodkinson, Stephen; Powell, Anton (Hrsg.), Sparta. New Perspectives, Swansea u.a. 1999, S. 43–66.
2 Kennell, Nigel M., The Gymnasium of Virtue. Education and Culture in Ancient Sparta, Chapel Hill u.a. 1995.
3 Cartledge, Paul A., Spartan Reflections, London 2001, bes. S. 79–90.
4 Kennell (wie Anm. 2), S. 20.
5 Lupi, Marcello, L’ordine delle generazioni. Classi di età e costumi matrimoniali nell’antica Sparta, Bari 2000.
6 Brelich, Angelo, Paides e Parthenoi, Roma 1969.

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